Ambition
Die feministische Sprachanalyse und -kritik geht im deutschen Sprachraum auf die späten 1970er Jahre zurück.1 Ein essentieller Teil davon betrifft das Verhältnis zwischen (grammatikalischem) Genus und (biologischem) Geschlecht. Eine der Annahmen ist, dass eine Bezeichnung im Maskulinum die Vorstellung einer männlichen Person auslöse; besonders thematisiert wird in diesem Kontext das generische Maskulinum, also die Verwendung des Maskulinums für Gruppen gemischten Geschlechts.2
Neben dieser deskriptiven Hypothese besteht auch ein normativer Aspekt: Sprache muss verändert werden, um eine effektive Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herzustellen. Dieser Anspruch wurde seit den 1990er Jahren in Österreich, Deutschland und der Schweiz vonseiten der Politik aufgegriffen und hat sich im politischen Bereich mittlerweile etabliert.3
Die Grundannahmen, um die Verwendung einer „geschlechtergerechten“ Sprache einzufordern sind folgende:
- Die „Standardsprache“ (insbesondere das generische Maskulinum) ist nicht geschlechterneutral (deskriptiv).
- Sprache soll geschlechtsneutral sein, weil sich dadurch bestehende Geschlechterungleichheiten signifikant reduzieren lassen (normativ).
- Sprache kann aktiv reformiert und dabei geschlechtsneutral gestaltet werden (deskriptiv).
Die dritte Annahme ist meines Erachtens die wichtigste und wird dementsprechend auch in öffentlichen Leitfäden immer wieder betont:
„Was heute noch 'komisch’ klingt, kann morgen schon die Norm sein. Was zur Norm wird, bestimmen die Mitglieder der Sprachgemeinschaft durch ihr Verhalten entscheidend mit.“ (Braun 2001)4
„Sprache befindet sich in einem ständigen Veränderungsprozess und ist deshalb immer gestaltbar.“ (Cochlar 2011)5
Die zwei Maximen, die zu einer geschlechtsneutralen Sprache führen sollen, sind Sichtbarmachung der Frauen (zum Beispiel durch spezifische Berufsbezeichnungen) und Symmetrisierung des Geschlechts (durch neutrale Formulierung wie dem in Österreich geläufigen „Binnen-I“ oder der expliziten Nennung beider Geschlechter).456
Zusammenfassend ist der Anspruch der Proponenten von „geschlechtsneutraler“ Sprache also jener: „Sprache kann und muss aktiv geändert werden, weil dadurch gesellschaftliche Ungleichheiten verringert werden können“. Ich möchte im Folgenden nur auf die Umsetzung und Umsetzbarkeit dieses Anspruchs eingehen und nicht näher auf die empirische und normative Begründung (also die ersten beiden Annahmen). Das bedeutet nicht, dass beide letzteren Punkte unproblematisch wären.
Sprechakttheorie
Die Sprechakttheorie geht von der Feststellung aus, dass Sprache nicht nur in Äußerungen (von bedeutungsvollen Propositionen) sondern immer auch in Handlungen besteht. Neben Lauten, Wörtern und damit assoziierten Bedeutungen gibt es immer noch eine andere Ebene – durch Sprache wird etwas gemacht, etwas in der Welt verändert.7 Wenn eine Frage gestellt, ein Wunsch geäußert wird, auf eine Frage keine Antwort gegeben wird – immer grenzt sich die Sprechhandlung von Alternativen ab und wird so wirksam. Es gibt keine wechselwirkungsfreie Sprache.
Die Annahmen 1-3, die zur Begründung einer „geschlechtergerechten“ Sprache herangezogen werden, beruhen im Wesentlichen auf dieser sprechakttheoretischen Feststellung, dass Sprache immer auch Handeln ist (wie genau die Theorie ausformuliert wird, ist hier nicht relevant) und ich werde im Folgenden auf diesem Modell aufbauen.
„Sichtbarmachen“ durch „Unsichtbarmachen“?
Welche Akte soll also die reformierte Sprache unterdrücken und welchen befördern? Die Unsichtbarmachung der Frauen soll durch eine Sichtbarmachung ersetzt werden und die asymmetrische Behandlung der Geschlechter soll durch eine symmetrische Behandlung ersetzt werden.
Unter „Sichtbarmachung von Frauen“ wird unter anderem die Verwendung von geschlechterspezifischen Titeln und akademischer Grade gefordert:
„Die korrekte Schreibweise ist die, die Frauen und Männer sichtbar macht. Das heißt, auch bei Abkürzungen sind die weiblichen Endungen zu verwenden.“ (Cochlar 2011)5
Unter Symmetrisierung wird die Verwendung geschlechtersymmetrischer Formulierungen, wie der Paarform, dem „Binnen-I“ oder geschlechtsneutraler Formulierungen gefordert. Damit soll die rein männliche Assoziation des generischen Plurals durch eine beide Geschlechter einbeziehende Vorstellung ersetzt werden.456 Ziel ist insbesondere:
„Dabei wird Leserinnen die Möglichkeit gegeben, sich mit verschiedenen Rollen zu identifizieren, auch mit solchen, in denen noch wenige Frauen zu finden sind.“ (Braun 2001)4
Diese Zielsetzung ist jedoch mit der Sichtbarmachung einzelner Frauen inkompatible, weil diese zwangsläufig einen Aufschluss auf eine allgemein bestehende Rollenverteilung gibt. Wenn in einem Bereich nur „Mag.“ und keine „Mag.a” auftauchen, wird er eindeutig als männlich identifiziert.
Es besteht also eine Spannung zwischen dem Versuch, einen Sachverhalt (dass es in gewissen Berufen Frauen gibt) sichtbar werden zu lassen und dem entgegengesetzten Versuch, einen anderen Sachverhalt (dass es in ebendiesen Berufen oftmals nur sehr wenig Frauen gibt) unsichtbar zu machen.
Ich glaube, dass die sprachliche „Sichtbarmachung“ von Frauen prinzipiell wesentlich problematischer ist als die „Unsichtbarmachung“ der Männer – dass zusätzliche sprachliche Geschlechterdifferenzen eigentlich im Sinne der Geschlechtsneutralität seien, ist schwer zu argumentieren. Deshalb lässt sich die Spannung am einfachsten dadurch lösen, dass die spezifische „Sichtbarmachung von Frauen“ als praktische Umsetzung des sprachlichen Reformprogramms aufgegeben wird. Hier stößt die feministische Sprachreform also noch nicht an ihre Grenzen.
Die Grenzen der „aktiven Sprachgestaltung“
Es bleibt noch die Frage zu klären, in welchem Rahmen sich die „aktive Gestaltung“ der Sprache bewegen kann. Ich möchte zwei Grenzen aufzeigen, welche das Potential dieser Art bewusster Eingriffe in die Sprache stark einschränken. Beide haben ihren Ursprung in der Kontextualität der Sprache.
Der Kontext eines Sprechaktes beinhalte alle Umstände, auf die sich der Sprechakt stützen kann, ohne sie sprachlich explizieren zu müssen.8 So ist natürlich die Bedeutung von „hier“, „jetzt“ und „ich“ nur innerhalb eines Kontextes festgelegt, aber auch komplexere Sprachfunktionen, wie Beschimpfung und Witz bedürfen immer eines (von einer mehr oder weniger breiten Allgemeinheit) geteilten gemeinsamen Kontextes. Umso umfangreicher der gemeinsame Kontext, desto reduzierter ist die rein sprachliche Kommunikation und desto spezifischer unterscheidet sich auch die verwendete Sprache von der (vom Kontext weniger abhängigen) „Standardsprache“.
Eine Ebene, auf der eine solche Sprachvariation aufgrund der gemeinsamen nichtsprachlichen Basis ausgemacht werden kann, ist der Soziolekt.9 Darunter verstehe ich eine Sprachvariation, die soziale aber auch geographische und temporelle Komponenten beinhaltet und sich von der Standardsprache signifikant unterscheidet.
Die Bestrebung, Sprache aktiv zu verändern, kann als definitorisches Merkmal eines gewissen Soziolekts angesehen werden. Wer eine geschlechtsneutrale Sprache verwendet, grenzt sich dadurch von jenen ab, die es nicht tun – und setzt diese sprachliche Abgrenzung bewusst. Es ist essentiell, dass die Gruppe, welche sich dieses Soziolekts bedient (zumindest anfangs), nur kleine Minderheit innerhalb der gesamten Gruppe der Sprecher darstellt und sich auch als solche begreift. Aktive Sprachreform ist immer linguistische Pionierarbeit.
Die erste Grenze der aktiven Sprachgestaltung ergibt sich aus ebendieser Minderheitenstellung. Die sprachkonservativere Mehrheit ist sich der Abgrenzung ebenso bewusst wie die Minderheit – ersterer ist der geschlechtsneutrale Soziolekt fremd und die versuchte Einflussnahme ist für sie vollkommen durchsichtig.10 Es braucht deshalb immer auch zusätzlichen, sprachexternen Grund, um den Soziolekt der „Sprachreformer“ zu übernehmen. Die linguistische Trägheit, die für große Gruppen besonders ausgeprägt ist, muss durch Kräfte außerhalb der Sprache überwunden werden – eine rein sprachliche Beeinflussung scheitert zunächst an der Durchsichtigkeit der zwischen Soziolekten abgesteckten Grenzen und an schwachen Ausgangsposition der „Reformer“.
Die zweite Grenze ergibt sich für die Sprecher des geschlechtsneutralen Soziolekts selbst. Letztere wählen, wie schon erwähnt, ihre Sprachvariante ganz bewusst, weil sie die Argumentation, die ich im ersten Abschnitt des Artikels dargestellt habe, für gültig befinden. Doch dadurch widerlegen sie zugleich die Annahme, dass Sprache durch sich selbst Denkmuster schaffen kann. Bei den Proponenten der geschlechtsneutralen Sprache zeigt sich gerade, dass normativ begründete Sprachmodifikationen sich nicht unbewusst etablieren, sondern immer bewusst hergestellt und begründet werden müssen (zumindest insofern sie nicht in der Standardsprache Einzug gefunden haben). Das Programm der feministischen Linguistik geht von der Wirkmächtigkeit von Sprache aus, zeigt aber durch seine Existenz und Anwendung dass diese Hypothese nur eingeschränkt anwendbar ist.
Kurz zusammengefasst: Die aktive Beeinflussung einer Sprache nach normativen Kriterien bedarf einer ständigen äußeren Disziplinierung – sowohl für die Proponenten der Sprachreform selbst als auch um die Mehrheit davon zu überzeugen. Diese Notwendigkeit schränkt die Wirkung des Reformprogramms „geschlechtsneutrale Sprache“ stark ein. Es ist eben nicht so, dass eine Sprachreform ohne äußere Zwänge (die selbst in irgend einer Weise politisch legitimiert werden müssen) durchgesetzt werden kann. Dieselbe Grenzziehung lässt sich im Wesentlichen auf jeden Versuch aktiver Sprachgestaltung – also „politisch korrekter“ Sprache – ummünzen. In erster Näherung gilt: Je größer der versuchte Eingriff in die Sprache (je deutlicher die Trennung zwischen dem sich dadurch konstituierenden Soziolekt und der Standardsprache) und damit auch die notwendige Disziplinierung, desto eingeschränkter ist der Effekt der Sprachreform durch eine Minderheit.
-
Trömel-Plötz und Pusch von der Universität Konstanz waren die Vorreiterinnen der feministischen Linguistik. ↩
-
Braun, Friederike et al. (1998): Können Geophysiker Frauen sein? Generische Personenbezeichnungen im Deutschen. In Zeitschrift für Germanistische Linguistik 26:3, S. 265-283. DOI: 10.1515/zfgl.1998.26.3.265 ↩
-
Eine Auswahl an Leitfäden für geschlechtergerechte Sprache. ↩
-
Braun, Friederike; Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein (Hg.) (2000): Mehr Frauen in die Sprache. Leitfaden zur geschlechtergerechten Formulierung. Kiel ↩↩↩↩
-
Cochlar et al.; Stadt Wien (2011): Leitfaden für geschlechtergerechtes Formulieren und eine diskriminierungsfreie Bildsprache. Wien ↩↩↩↩
-
Wetschanow, Karin; Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (Hg.) (2012): Geschlechtergerechtes Formulieren. 3. Auflage, Wien ↩↩
-
Austin, ein Begründer der Sprechakttheorie, bezeichnet die erste Ebene als „lokutionär“, die zweite als „illokutionär“. Zusätzlich dazu kann bei bestimmten Sprechakten noch eine dritte („perlokutionäre“) Ebene hinzukommen, bei der die Intention besteht, über die konventionelle illokutionäre Ebene hinauszugehen. Vgl. Wunderlich (1981): Grundlagen der Linguistik. 2. Auflage, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 321ff. ↩
-
Vgl. Wunderlich 1981, S. 24 ↩
-
Wunderlich stellt eine Hierarchie der sprachlichen Homogenität auf, auf jener der Soziolekt als homogenes Sprachsystem einer Gruppe auf der zweiten Stufe (nach dem individuellen Sprachsystem stehen) steht. Auf den höheren Stufen (mit reduziertem gemeinsamen Kontext) steht eine Familie von Soziolekten, eine Einzelsprache zu einer gegebenen Zeit, Einzelsprache in allen Stadien, eine Sprachfamilie, etc. (vgl. Wunderlich 1981, S. 138f.) ↩
-
Ein Bereich, in dem die sprachliche Einflussnahme für die betroffene Gruppe weniger durchsichtig ist, ist sicherlich die Schule. Es kann daran gezweifelt werden, wie eine solche Einflussnahme demokratisch zu rechtfertigen wäre. ↩