Migration und Integration werden die Zukunft Europas maßgeblich prägen. Deshalb ist es alarmierend, dass der Diskurs über diese Themen von vorgefertigtem ideologischen Geplänkel über irrelevante Maßnahmen dominiert wird und dabei nicht auf die eigentlich verfolgten Ziele und soziologischen Rahmenbedigungen eingegangen wird. In diesem Artikel möchte ich deshalb knapp, aber dennoch nachvollziehbar darstellen, welche Faktoren Integration und Segregation prägen, warum Integration meines Erachtens ein erstrebenswertes Ideal ist und mit welchen Mitteln es erreicht werden kann. Ein Beitrag, der versucht einen über Schuldzuweisungen („latenter Rassismus“, „Integrationsunwilligkeit“) hinauszugehen und die Fragen anspricht: Wie und warum passiert Integration (nicht)? Was ist eigentlich das Ziel im Umgang mit Migration?
7. November 2020
11' Lesezeit
Migration und der Umgang mit Migranten sind wohl die Phänomene, die den Werdegang Europas in den nächsten Jahrzehnten am meisten prägen werden.
Angesichts dieser Situation ist es verwunderlich und auch problematisch, dass die Frage sich nur in einer sterilen, binären Gegenüberstellung zwischen den sogenannten „harten“ und „offenen“ Linien bei der Einwanderungspolitik, zwischen „Assimilation“ und „Multikulturalismus“, zwischen „Hol-“ und „Bringschuld“ bei der Integration darstellt. Diese Konfrontation, die sich rein auf die Ebene der Maßnahmen bezieht, verdeckt den Blik auf die zugrunde liegenden Sachverhalte, Hypothesen und Theorien und auf mögliche alternative Handlungsoptionen. Welche soziologischen Tendenzen sind bei Migration zu beobachten? Welches Ziel kann sich eine Gesellschaft im Umgang mit Migration setzen?
Ich möchte in diesem Artikel einen Teil dieser dringend notwendigen Grundlagenarbeit leisten und auch darlegen, welche Zukunftsperspektiven bei der Migrations- und Integrationsthematik aus meiner Sicht bestehen.
Die Konfrontation zwischen „harter“ und „offener“ Linie der Einwanderungspolitik, und die damit einhergehende „Schuldfrage“ – undankbare Migranten oder rassistische Einheimische? – ist steril und verdeckt essentielle Fragen: Wie und warum passiert Integration (nicht)? Was ist eigentlich das Ziel im Umgang mit Migration?
Schlüsselbegriffe
Dass die öffentliche Debatte zu Migration und Integration derart unzulänglich geführt wird, hängt zu einem großen Teil mit der Unklarheit der verwendeten Begriffe zusammen, die aus verschiedenen ideologischen Perspektiven unterschiedlich definiert und aufgeladen werden. Zunächst erscheint es mir deshalb notwendig, die Begriffe, die ich verwenden werde, zu definieren.
- Migration: Bewegung von Menschen von einem Ort zu einem anderen, mit der Absicht, sich dort niederzulassen (aus Sicht des Zielorts Immigration).
- Integration: Prozess, der die Segregation, also die Fragmentierung der sozialen Kontakte (Arbeit, Freundschaft, Sport, Liebe usw.) zwischen unterschiedlichen Untergruppen reduziert. Die Natur der Untergruppen – sozial, ethnisch, religiös, politisch, geografisch usw. – ist dabei zunächst nicht bestimmt. Eine völlig integrierte, unfragmentierte Gesellschaft ist eine, bei der menschliche Beziehungen komplett unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten sind.
- Integration im Migrantionskontext: Verminderung der Fragmentierung der Gesellschaft entlang der (echten oder zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu eingewanderten Gruppen. Diese Form der Integration reduziert die Bedeutung von mit Migration assoziierten – z. B. ethnischen, religiösen, sprachlichen usw. – Faktoren für zwischenmenschliche Beziehungen.
- Assimilation: Integrationsprozess, der darin besteht, dass Einwandernde sich den Einheimischen angleichen und schließlich nicht mehr von ihnen zu unterscheiden sind.
- Synkretismus: Integrationsprozess, der darin besteht, dass Einwandernde und schon länger Ansässige sich aufgrund von gegenseitigem Austausch einander angleichen, sodass sie untereinander nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
- Integrations- und Segregationsfaktoren: Einflüsse, die zu Integration oder im Gegenteil zu einer stärkeren Fragmentierung der Gesellschaft führen. Manche Faktoren können zugleich integrierend und segregierend wirken, weil sie gewisse Fragmentierungen fördern und dabei andere reduzieren.
Ein Begriff, den ich nicht verwenden möchte, ist „Verantwortung“ oder der „Schuld“ an unzureichender Integration – sind es die „undankbaren Migranten“? oder doch eher die „fremdenfeindlichen Autochtonen“? Bei einer soziologischen und im weiteren Verlauf politischen Untersuchung ist die Verwendung derartiger Termini ein schwerer Kategorienfehler, weil Verantwortung und Schuld bei Individuen (etwa bei einem Islamisten oder bei einer Rassistin) festgestellt werden können, aber für die Beschreibung des Zustands einer Gesellschaft und der Bewertung politischer Maßnahmen nicht adäquat sind.
Wider den Fatalismus
Als zweite Vorarbeit für die eigentlichen Analyse von Migration und Integration möchte ich zwei fatalistische Fehleinschätzungen aus dem Weg räumen, welche dazu beitragen, die Debatte zum Thema zu vergiften.
Die erste ist, dass Migration eine Art Naturgewalt ist, die immer schon existiert hat und deshalb auch durch nichts beeinflusst werden kann. Dass es Migration immer gegeben hat und immer geben wird, steht außer Frage, aber die Geschichte zeigt genauso deutlich, dass Migration in ihrem Ausmaß und ihrer Ausformung, von zahlreichen Faktoren sowohl in den Ursprungs- als auch in den Zielländern abhängt, die durchaus politisch beeinflusst werden können.
Eine zweite fatalistische Hypothese ist, dass Migration notwendigerweise zur Katastrophe führen muss, weil eine zunehmende „Überfremdung“ zur Zerstörung des Staatsgebildes führt. Auch hier gibt es zahlreiche Gegenbeispiele von relativ stabilen Staatsgebilden, die langfristige und signifikante Migration von durchaus fremden Kulturkreisen erfahren haben und nicht zusammengebrochen sind. Auch hier besteht eine große politische Gestaltungsmöglichkeit, die zwischen erfolgreicher und erfolgloser Vermittlung von Migration entscheidet. Die Grundannahme dieser Untersuchung ist also zweifach antifatalistisch:
Migration und Integration sind politisch beeinflussbar. Weder ist Immigration „unausweichlich“ noch Integration „unmöglich“.
Empirische Postulate
Nachdem der begriffliche Rahmen feststeht, werde ich drei soziologische Beobachtungen über desintegrierende und integrierende Faktoren im Migrationskontext darlegen und begründen.
Segregationsfaktoren
Identifizierbarkeit einer Gruppe ist ein Segregationsfaktor. Je einfacher Mitglieder einer Gruppe anhand ihres Aussehens, ihrer Sprache, ihrer Kleidung usw. zugeordnet werden können, umso schwieriger ist die Integration über die Trennlinie hinweg, weil sowohl Selbst- („einer von uns“) als auch Fremdzuordnung („einer von ihnen“) zur Segregierung beitragen.
Daraus folgt, dass die Überlagerung mehrerer Trennmerkmale die Integration einer Gruppe erschwert, weil sie die Identifizierbarkeit erhöht. Eine Gruppe, die durch ethnische und darüber hinaus auch kulturelle und soziale Merkmale selbst- bzw. fremddefiniert wird, wird viel schwerer zu integrieren sein, als eine, die sich nur entlang eines Merkmals unterscheidet.
Der geringe sozioökonomische Status von Migranten ist Segregationsfaktor. Migration geht tendenziell mit einem einstweiligen sozialen Abstieg (neue Sprache, neues Land, kaum Bekannte) einher. Bei bereits einkommensschwachen und wenig gebildeten Migranten fällt dieser Effekt stärker aus, da die Codes und Mittel zum sozialen Aufstieg meist nicht greifbar sind und führt zu einer „ethnosozialen“ oder „soziokulturellen“ Segregierung.
Aus dieser Erkenntnis folgt auch, dass bei einem hohen Anteil von relativ unterdurchschnittlich gebildeten neuen Migranten, wie er derzeit in Europa üblich ist, die soziale Ungleichheit der Empfangsgesellschaft eine wesentliche Rolle spielt. Je ungerechter (also sozial segregierter) die Gesellschaft ist, umso schwieriger wird die Integration von einkommensschwachen Migranten, umso eher wird längerfristig, also auch in späteren Generationen eine ethnosoziale Gruppe entstehen.
Geografische Trennung ist ein zentraler Segregationsfaktor, weil die meisten sozialen Kontakte in unmittelbarer Nähe des Wohnorts konzentriert sind. Dies gilt nicht nur für migrierte Gruppen, aber gerade bei diesen ist der kumulative Effekt mit anderen Segregationsmechanismen besonders bedeutend.
Tendenziell etabliert sich eine Form von geographischer Trennung, sobald eine – meist sozioökonomisch schwächere – eingewanderte Gruppe eine gewisse Größe erreicht hat, sowohl aus internem (Leben mit Freunden und Familie, weniger Verständigungsschwierigkeiten) als auch aus externem Druck (meiden des Viertels durch Einheimische). Daraus folgt, dass starke Zuwanderung bereits migrierter Gruppen selbst ein Segregationsfaktor ist.
Integrationsfaktoren
Es lassen sich zunächst natürlich alle Postulate über Segregationsfaktoren umkehren und in enstprechende Aussagen über Integrationsfaktoren umwandeln. So sind eine geringe Identifizierbarkeit, ein hoher soziökonomischer Status, eine sozial homogene Empfangsgesellschaft und eine mit geringer, geographisch stark verteilter Migration klarerweise Faktoren, die Integration befördern.
Zusätzlich dazu gibt es einen genuin positiven Integrationsfaktor, der nicht nur in der Abwehr von Segregationsfaktoren besteht: das Bestehen einer gesellschaftsübergreifenden Identität, das Verständnis, das all jene, die in einer Gesellschaft leben, grundlegende verbindende Regeln und Werte teilen, ja in gewisser Weise auch ein gemeinsames Schicksal. Eine solche Identität kann auf verschiedenen Ebenen existieren und wirkt dort integrativ – eine Lokalidentität auf der Mikroebene, eine nationale oder supranationale Identität auf Makroebene; für die nächste höhere Ebene kann sie aber auch segregierend wirken (z. B. starke Lokalidentität in Abgrenzung zur nationalen Identität).
Das Bestehen einer Reihe von gesamtgesellschaftlich geteilten Identifikationsmerkmalen – eine gemeinsame Identität – ist ein wesentlicher Integrationsfaktor.
Genauso bedeutend für das Verständnis langfristiger Integration ist zudem, dass sie primär in einem sehr spezifischen Mikrokosmos – in Kindergärten und Schulen – stattfindet. Dieser Mikrokosmos bildet zu einem gewissen Grad die zukünftige Gesellschaft ab, ist aber um ein Vielfaches formbarer und kontrollierbarer. Das hohe Lernvermögen und die rasche Entwicklung von Kindern, ihre Fähigkeit, sofort neue Kontakte zu knüpfen, verbinden sich mit einer beispiellosen staatlichen Einflussnahme auf das Schulmilieu – durch durchgehende Anwesenheitspflicht, die Auswahl von Lehrpersonal, die Vorgabe von Stunden- und Lehrplänen usw.
Im schulischen Mikrokosmos ist Integration deutlich einfacher zu erreichen als in der Gesamtgesellschaft: Sprachliche Barrieren können durch Förderung innerhalb weniger Monate überwunden, Identifikationsmerkmale durch Kleidungs- und Verhaltensvorschriften eingedämmt, geographische Segregierung durch eine aktive Durchmischung des Einzugsgebiets neutralisiert, soziale Unterschiede durch frühe und lange Einschulung und Ganztagsschule minimiert werden. Schule ist also der Raum für Integration par excellence.
Das Bildungssystem ist ein Mikrokosmos, der in vielerlei Hinsicht die Zukunft der Gesellschaft abbildet; dieser Mikrokosmos ist wesentlich einfacher zu beeinflussen und steuern denn die Gesellschaft als Ganzes. Langfristige Integration ist also am effektivsten im Schulmilieu zu erreichen.
Die Zielsetung
Ich möchte nun zum normativen Teil dieses Essays kommen und ein Ziel – den Idealzustand – explizit darstellen. Auch auf diesen einfachen Schritt wird im öffentlichen Diskurs um Integration verzichtet und deshalb die Debatten über die Umsetzung mit jener über die Zielsetzung vermischt.
Das Ausmaß der gewünschten Migration ist im Hinblick auf die demographische und wirtschaftliche Situation zu bestimmen – es kann hier keine einheitliche Vorgabe für ganz Europa geben. Länder mit schwächerer Demographie und stärker wachsender Wirtschaft werden grundsätzlich einen stärkeren Bedarf an Immigration haben, als andere. Ist einmal ein Ausmaß an Migration anhand von gesamtwirtschaftlichen Kriterien festgelegt, stellt sich die Frage nach der Art, damit umzugehen, nach dem Ausmaß der gewünschten Integration von Migranten. Dazu zählen konkrete Fragen wie: Sollen sich Viertel mit überwiegender Mehrheit von Migranten herausbilden können? Sollen Einwanderergruppen die sozialen Strukturen ihrer jeweiligen Herkunftsorte im Empfangsland reproduzieren? Ist eine geringe Anzahl von „Mischehen“ ein gesellschaftliches Problem?
Mir erscheint gleich aus mehreren Gründen eine möglichst wenig ethnisch, religiös, sozial usw. segregierte Gesellschaft wünschenswert. Zunächst, weil Segregation immer im Keim eine Ungerechtigkeit trägt: ein in eine gespaltene Gesellschaft geborenes Kind wird je nach Gruppenzugehörigkeit ganz unterschiedliche Bedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten haben. Noch wichtiger ist jedoch, dass eine segregierte Gesellschaft nur schwer demokratisch zu verwalten ist: Weil Interessen großteils Gruppenzugehörigkeiten abbilden, kristallisiert sich entweder ein staatliches Repräsentationssystem heraus, das die segregierten Gruppen einbezieht (z. B. ethnische Parteien in einem ethnisch segregierten Staat) und in dem aufgrund des Klientelismus oder Proporzsystem das Allgemeinwohl in den Hintergrund gerät, oder die staatliche Repräsentation gliedert sich entlang anderer Linien, die aber die Realität nicht abbilden, was zu einer Legitimitätskrise der demokratischen Institutionen führt (hoher Nichtwähleranteil, Politikverdrossenheit, Ablehnung des Staats), die zu einer Gefahr für das System selbst werden kann. Beide Varianten gefährden mittelfristig die Substanz des Staats.
Eine wenig segregierte Gesellschaft erscheint mir als ein erstrebenswertes politisches Ziel, sowohl allgemein als auch spezifisch im Hinblick auf Merkmale, die mit Migration zusammenhängen (ethnisch, religiös, sprachlich usw.).
Die Umsetzung
Nachdem die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Zielsetzung erläutert wurden, kann nun zum dritten und letzten Schritt übergegangen werden – zur Formulierung konkreter politischer Maßnahmen, die der Integration in der Gesellschaft zuträglich sind. Dabei liegt es nahe, zu untersuchen, wie die im vorletzten Abschnitt dargestellten Integrationsfaktoren begünstigt und Segregationsfaktoren zurückgedrängt werden können.
Um eine gemeinsame gesellschaftliche Identität zu stärken, ist es ein durchaus wirksamer erster Schritt, sich politisch dazu zu bekennen und sie explizit auszuformulieren. Ein klares, für alle verständliches Bekenntnis zu einer gemeinsamen Grundidentität sollte auch institutionell verankert werden und in Gesetzestexte, in Lehrprogramme und Integrationsvereinbarungen aufgenommen werden.
Es wäre ein Irrtum, dies als „reaktionären“ Vorschlag abzutun, der auf einen Urzustand ohne Migranten oder ein vollständiges Verschwinden der migrantischen Identitäten abzielen würde. Ganz im Gegenteil – eine gemeinsame Identität kann durchaus aufgeklärt und nicht folklorisierend sein; sie kann kulturell und nicht ethnoreligiös sein, sie kann zu einem gewissen Grad wandelbar sein und migrantische Einflüsse aufnehmen. Wichtig ist nur, dass sie möglichst breit geteilt wird, dass die Änderungen langsam getragen werden.
Ein deutliches politisches Bekenntnis zum Ideal einer nicht-segregierten Gesellschaft, zu einer gemeinsamen Grundidentität, die Gruppenzugehörigkeiten, Herkunft und soziale Klasse transzendiert, ist notwendig.
Eine zweite essentielle Erkenntis im Bereich der Umsetzung betrifft die gezielte Implementierung desegregierender Maßnahmen, die umso umfangreicher sein muss, je stärker die intrinsische Tendenz zur Segregation ist – also je einkommensschwächer, identifizierbarer, geographisch konzentrierter und ungebildeter die betroffene Gruppe ist. Es ist ganz offensichtlich, dass zum Beispiel wenig gebildete Migranten aus Afghanistan aufwändigere und kostspieligere staatliche Maßnahmen zur erfolgreichen Integration benötigen werden, als etwa Migranten mit Universitätsabschluss aus der Europäischen Union. Zur Berücksichtigung dieses Sachverhalts könnte ein Punktesystem implementiert werden, mit dem der Bedarf an Maßnahmen für jeden Migranten erhoben wird: Wieviel Sprach- und Kulturkurse, wieviel finanzielle Unterstützung bei gutem Fortschritt sind notwendig? Braucht es möglicherweise auch direkte oder indirekte Anreize zur geographischen Desegregierung?
In der Realität sind die finanziellen Mittel für derartige Maßnahmen nicht unbeschränkt (auch wenn sie wohl in den meisten Staaten deutlich aufgestockt werden könnten und müssten, weil sie eine äußerst sinnvolle Investition darstellen). Damit geht einher, dass besonders aufwändig zu integrierende Gruppen in geringeren Maßen aufgenommen werden sollten, als leichter zu integrierende Gruppen, etwa aus ähnlichen Sprach- und Kulturräumen. Diese Einsicht ist nicht diskriminierend, sondern im Gegenteil eine Grundbedingung, um Diskriminierung zu unterbinden: Es sind primär die am schwersten zu integrierenden Migranten, die später an der gesellschaftlichen Spaltung leiden, nicht die Einheimischen.
Aktive Desegregierung ist für Gruppen, für die grundsätzlich besonders starke (ethnische, religiöse, sprachliche, soziale usw.) segregierende Faktoren bestehen, mit einem größeren Aufwand verbunden. Wenn die finanziellen Ressourcen begrenzt sind und Integration als Ziel beibehalten wird, muss also die Aufnahmekapazität für diese Gruppen eingeschränkt werden.
Die dritte konkrete Maßnahme zielt auf den Sonderbereich der Schule ab, der wie oben dargelegt der primäre Raum für effektive Integrationsmaßnahmen ist. Im Schulbereich sind die nachhaltigsten und weitereichendsten aber auch kostengünstigsten Maßnahmen möglich, in der Schule können auch sonst sehr schwer zu erreichende Gruppen innerhalb einiger Jahrzehnte zur Teilhabe gebracht werden.
Es muss zur Notwendigkeit gestanden werden, von diesen einzigartigen Möglichkeiten für die Integration Gebrauch zu machen, auch wenn sie oft unpopulär sein mögen – im Übrigen sowohl bei Migranten als auch bei Einheimischen, die beide aus etablierten Strukturen herausgerissen werden. Effektive Integrationsmaßnahmen wären etwa eine radikale geographische Durchmischung der Schulsprengel (z. B. nach einem strengen Zufallsprinzip); eine starke Einschränkung der Freiheit von Privatschulen (z. B. die Zuweisung eines signifikanten Anteils von zufällig ausgwählten „öffentlichen“ Schülern an Privatschulen), eine Ausweitung der Unterrichtszeiten und Pflichtschuldauer; eine besondere Unterstützung bei Sprachdefiziten bei gleichzeitiger weiterer gemeinsamer Einschulung mit anderen Kindern; die Betonung der bereits erwähnten gemeinsamen Identität im Lehrplan; die Einschränkung von Heimunterricht; das Verbot gewisser religiöser Identifikationsmerkmale; usw.
Die aktive Desegregierung im Schulbereich ist das effizienteste Mittel für nachhaltige Integration. Auch ihre Maßnahmen müssen umso einschneidender sein, je höher der Migrationsanteil und je stärker die soziologische Grundtendenz zur Segregation sind. Dabei sind gewisse fundamentale Einschränkungen – etwa betreffend die freie Schulwahl – in Kauf zu nehmen.
Assimilation oder Synkretismus
Abschließend noch eine Bemerkung zur Wahl zwischen Assimilation und Synkretismus, die ich bislang nicht angesprochen habe. Es wird von der jeweiligen Gesellschaft, der Herkunft und Anzahl der Immigrierenden, der Flexibilität der Einheimischen abhängen, wie stark der gegenseitige Einfluss sein kann. Traditionelle Einwanderungsländer werden es leichter haben, sich recht stark von Einwanderern beeinflussen zu lassen, während traditionelle Auswanderungsländer mit einer statischeren Kultur dafür weniger geeignet sein werden.
Meines Erachtens ist diese Frage aber ohnehin zweitrangig – wesentlicher ist, dass das Ziel der Integration, die Notwendigkeit aktiver politischer Desegregierung und die dafür wichtigsten Parameter sowie der essentielle Schauplatz des Bildungssystems erkannt werden.