Nach dem Terror: Die notwendige Spaltung des Islams in Europa

Der Anschlag von Wien hat gezeigt, wie gefährdet ganz Europa von islamistischem Terror mittlerweile ist. Doch Terrorismus ist nur eine Ausdrucksform des Islamismus, einer antisäkularen und damit staatsfeindlichen Ideologie, die mittlerweile eines der größten Hindernisse zur religiösen Integration darstellt. Es ist deshalb dringend notwendig, Islamisten vom Rest der Muslime soweit wie möglich zu isolieren, Islamismus politisch zu bekämpfen und als Gegenmodell einen von den Herkunftsstaaten unabhängigen „europäischen“ Islam aufzubauen.

  22. November 2020    7' Lesezeit

Es gibt unleugbar ein Problem mit islamistischem Terrorismus. Das Phänomen hat sich seit einigen Jahrzehnten auf allen Kontinenten etabliert, spätestens seit zwanzig des Jahrhunderts auch in Westeuropa. Nach 2004 (Attentate von Madrid) gab es dutzende ausgeübte und hunderte vereitelte Anschläge und ab 2011 Tausende aus Europa stammende Terroristen, die in Syrien und dem Irak gekämpft haben. Mit dem 2. November 2020 und der Ankunft des islamistischen Terrors in Wien – der viel strapazierte Ausdruck „Insel der Seligen“ hat eine gewisse Berechtigung – ist endgültig klar geworden, dass die Bedrohung sich in ganz Europa eingenistet hat und uns über die nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte, begleiten wird.

Islamistischer Terror

Das tückische am Terrorismus ist natürlich, dass seine Auswirkungen weit über die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben gehen.1 Der islamistische Terrorismus zielt darauf ab, Gesellschaften zu zersetzen, Chaos und alle möglichen Formen von Radikalisierung zu befördern, um schließlich in einem Bürgerkrieg zu münden, einem Endkampf, in dem der Islamismus letztlich siegen würde. Das ist keine bloße Mutmaßung, sondern ein explizit formuliertes Ziel des internationalen Jihadismus, der etwa im Al-Kaida-Handbuch „Management of Savagery“, das auch von den IS-Magazinen Dabiq und Rumiyah aufgegriffen wurde.2

Im Migrations- und Integrationskontext, in dem ein großer Teil der Migranten muslimisch geprägt sind, ist diese Vorgangsweise des islamistischen Terrorismus natürlich besonders gefährlich. Attentate sollen die Segregierung zwischen Muslime und Nichtmuslime befördern um schließlich in Gewaltakten entlang religiöser Trennlinien zu münden. Nicht selten gelingt dies auch, wenn Rechtsextreme nach Attentaten mit symbolischen oder physischen Angriffen auf Muslime tätig werden3 und auch die allgemeine Abneigung gegenüber Muslimen fast unweigerlich zunimmt,4 – eine als ungerecht wahrgenommene Behandlung, die zu stärkerer Selbstsegregierung eines Teils von Muslimen führt.5

Islamistischer Terrorismus zielt bewusst auf chaotische Zustände und einen Bürgerkrieg zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen ab. Nicht selten gelingt es Attentätern auch, derartige Spannungen zu schüren und die Segregation von Muslimen zu befördern.

Wie ich in meinem letzten Artikel zur Integration dargelegt habe, muss diese Tendenz zur Segregation durch aktive desegregierende Maßnahmen bekämpft werden – in diesem konkreten Fall über eine positiv konnotierte und klar definierte religionsübergreifende Identität, über die Förderung von Kontakten zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, einem besonderen Fokus auf die Bildung muslimischer Kinder und auf geographische Desegregierung.

Islamismus als Segregationsfaktor

Doch dabei gerät man in Gefahr, einen Aspekt zu übersehen, den ich in meinem Artikel über Integration nur angedeutet hatte – die Dynamik innerhalb der Gruppe der Muslime. Im gegenständlichen Fall sind es nicht nur Terroristen, sondern allgemeiner Islamisten, die eine negative Rolle bei der Integration spielen.

Unter Islamisten verstehe ich in diesem Kontext Muslime, für die religiöse Gesetze, auch wenn sie im Widerspruch mit einer demokratischen Gesetzgebung stehen, absoluten Geltungsvorrang haben.6 Im Kern jeder islamistischen Ideologie steht also eine – zumindest implizite – Ablehnung des säkularen Staatsmodells. Über islamistische Theologien, Moscheen und Vertreter in der islamischen Glaubensgemeinschaft wird eine Art der Selbstabsonderung von Muslimen betrieben; Integration ist ein Feindbild, wenn nur Muslime gute Menschen sein können. Muslime werden von Islamisten also ermutigt, den Islam zum Kern ihrer Identität zu machen, sie werden aufgerufen sich von Nicht-Muslimen abzuwenden, jeden Menschen nach dem Merkmal der Religion zu bewerten.7

Was kann diesem islamistischen Angriff auf den säkularen Staat und Integration von Muslimen entgegengehalten werden? Die Integration von Islamisten selbst ist aufgrund ihrer fundamentalen, ideologischen Ablehnung des gewünschten Modells kaum erfolgversprechend. Stattdessen erscheint es mir praktikabel, Islamisten von anderen Muslimen möglichst zu trennen, also die Spaltung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen durch eine Spaltung zwischen Muslimen und staatsfeindlichen Muslimen zu ersetzen. Das Ziel muss es sein, den Einfluss von Islamisten auf Muslime zu reduzieren, die Diffusion des Islamismus in islamische Diskurse und Strukturen soweit wie möglich zu unterbinden.

Für die Integration des größtmöglichen Anteils der Muslime muss die Isolierung einer islamistischen Minderheit, die den Nährboden für Separatismus und Terrorismus bildet, in Kauf genommen werden.

Das islamische Spektrum und die Frage der Grenzziehung

Die zentrale Schwierigkeit ist natürlich, wo eine solche Grenze verlaufen soll. In zwei schematischen Darstellungen habe ich die Verteilung von Muslimen und islamischen Institutionen in Abhängigkeit einer (als eindimensional aufgefassten) religiösen Strenge dargestellt. Dies ist natürlich nur eine ganz grobe Einteilung, die aber zumindest das Spektrum und die Größenordnungen einigermaßen sichtbar macht.8

Muslime in Europa

Das Spektrum der Muslime soll darstellen, dass ein Großteil der Muslime zwar gläubig sind, aber nur ein geringer Teil islamistisch und grundsätzlich integrationsfeindlich. Integrationspolitik muss versuchen, dass Muslime eher auf der linken Seite des Spektrums bleiben, Islamismus hingegen (und noch mehr der islamistische Terrorismus) zielt darauf aub, die Kurve nach rechts zu verschieben. Die Trennlinie zwischen „strenggläubigen Muslimen“ und „Islamisten“ wird in dem Bereich zu ziehen sein, an dem Potential für rasche Integration endet und die ideologische Bekämpfung des säkularen Staates anfängt.9 Es wird akzeptiert und gefördert, dass der Teil der Muslime „jenseits der islamistischen Grenze“ in einer Art Parallelgesellschaft lebt, die möglichst von anderen Muslimen isoliert und überwacht wird. Idealerweise ist dies ein temporärer Zustand – durch Auswanderung, aber vor allem durch Integration der Nachkommen von Islamisten soll diese Parallelgesellschaft langfristig ausgetrocknet werden. Diese segregierte Gesellschaft soll so groß wie nötig sein, um alle staatsfeindlichen Personen zu erfassen, aber zugleich so klein wie möglich, also auch nicht alle streng gläubigen Muslime erfassen.10

Islam in Europa

Das Spektrum der islamischen Vereine entspricht nicht jenem der Muslime, da sich Agnostiker und wenig Gläubige naturgemäß kaum organisieren. Die Vereinslandschaft ist deshalb deutlich in Richtung strenggläubige bis fundamentalistische Strömungen verschoben, wie untenstehend schematisch dargsestellt. Dieser „natürliche“ Effekt wird durch die starke Fremdfinanzierung aus der Türkei und Golfstaaten – die eine offen islamistische Außenpolitik betreiben – weiter verstärkt.11

Die Grenzziehung bei Institutionen muss demnach eine andere sein – um das Ungleichgewicht, das von islamistischen Geldgebern und den fehlenden Rückhalt liberaler Strömungen zu kompensieren, sollten streng religiöse Moscheen und Vereine beobachtet und höchstens toleriert, nicht aber gefördert werden. Offen islamistische und jihadistische Gebetshäuser sollten noch stärker überwacht und gegebenenfalls (aufgrund von Finanzvergehen, Terrorismusfinanzierung etc.) rasch geschlossen werden. Im Gegenzug müssen Maßnahmen gesetzt werden, um das Angebot „liberaler“ und sonstiger eindeutig mit einem säkularen Staat kompatibler Strömungen deutlich auszubauen – diese Strömungen müssen in der Auseinandersetzung um mediale Aufmerksamkeit, um die theologische Deutungshoheit, im Wettbewerb um die Gläubigen gegen islamistische, aber auch andere prinzipiell im Ausland verankerte Interpretationen bestehen können.

Maßnahmen zur Isolierung des Islamismus

Nun möchte ich einige konkrete Vorschläge zu Maßnahmen machen, mit denen eine derartige Absonderung zu Islamisten funktionieren kann. In einem säkularen Staat ist die direkte Einflusnahme auf – grundsätzlich freie – Religionen äußerst heikel, aber zumindest indirekt möglich, wenn die Ausübung an allgemeingültige Grenzen stößt, wie etwa bei dem Verbot der Gesichtsverschleierung, das ebenfalls eine Isolierung und Unsichtbarmachung islamistischer Praktiken bezweckt. Ich möchte hier drei Grundpfeiler einer solchen Strategie skizzieren:

  1. Ein klares politisches und gesellschaftliches Narrativ, das die Trennlinie klar macht: Der Islam gehört zu Europa, nicht aber der Islamismus. Begriffe wie „Europäischer Islam“ und „Muslime“ sollen klar positiv besetzt werden, islamistische Strömungen dagegen systematisch negativ, etwa durch den in Frankreich geprägten Begriff „islamistischer Separatismus“.12 Der Schutz von Muslimen gegenüber Übergriffen soll ebenso deutlich thematisiert werden wie Razzien gegen Terroristen und ihre Unterstützer.
  2. Ein ebenso klares internationales Narrativ, insbesondere für die muslimische Welt, um das islamistische Narrativ der Feindschaft zwischen Westen und Islam zurückzudrängen. Dabei muss die Bedeutung des „europäischen Islam“ als gleichwertiges Pendant zu anderen islamischen Strömungen hervorgehoben werden. Als gemeinsamer Feind Europas und aller Muslime kann der „Terrorismus“ dienen werden, der weltweit tatsächlich hauptsächlich Muslime trifft. Bei Angriffen von islamistischen Staaten (etwa im Karikaturenstreit) sollte deutlich auf die Heuchlerei eingegangen werden, etwa auf ihr Schweigen bei den tatsächlichen Verbrechen Chinas gegen Milionen von Muslimen, wohingegen Europa sich deutlich positioniert hat.13
  3. Institutionelle Unterstützung für den „europäischen Islam“ durch gezielte Vergabe von Forschungsgeldern für islamische Theologie, Medienförderung und Projektfinanzierung für interreligiösen Dialog. Darüber hinaus sollen externe Einflüsse sowohl im Diskurs marginalisiert („fremde Strömungen im Islam“) werden als auch durch Finanzierungsbeschränkungen, über die Erfordernis der vollständigen Ausbildung für alle Imame und Religionslehrer in Europa oder eine verpflichtende Berücksichtigung säkularer Grundsätze in universitären und schulischen Lehrplänen für den Islam.

Fasst man diese Maßnahmen auf den vorherigen Diagrammen zusammen, ergibt sich ein recht einfaches Merkbild, auf dem farblich die Einstellung zu unterschiedlichen Gruppen bzw. Institutionen festgehalten wird.

Muslime in Europa

Islam in Europa

Abschließend möchte ich noch anmerken, dass diese Trennung nicht nur notwendig ist, um die Selbstsegregierung von Muslimen zu unterbinden, sondern auch geeignet ist, um Diskriminierung vonseiten der Gesamtgesellschaft zu reduzieren. Der „Islamismus“ kann als Feindbild dafür dienen, wofür sonst oft der „Islam“ als Ganzes herhalten müsste; ebenso kann der „europäische Islam“ ein positiver Anknüpfungspunkt für Nichtmuslime sein, der weniger Ängste hervorruft als es „Islam“ alleine tun würde.

Nachtrag (28.2.2021): In den letzten Monaten haben mehrere Stimmen aus der islamischen Glaubensgemeinschaft, wie etwa Ruşen Timur Aksak, nicht nur von Terroristen desolidarisiert, sondern auch von jenen, die Islamismus und Salafismus nicht als dahinterliegendes Problem erkennen. Diese Tendenzen zur internen Absonderung des Islamismus sind erfreulich und zeigen, dass die hier skizzierte Strategie nicht unrealistisch ist.

  1. Der Anschlag hat wohl weniger Tote verursacht als die vollen Restaurants und Bars mitten im Coronaausbruch.
  2. In ihren Feldstudien Wut (2018) und Radikalisierungsmaschinen (2019) zeigt Julia Ebner, dass dieses Ideal in der islamistischen Praxis bis heute eine zentrale Rolle einnimmt.
  3. Nach dem Attentat von Wien war diese Tendenz nicht besonders ausgeprägt, aber dennoch existent.
  4. Dazu gibt es unzählige Studien, z. B. Obaidi et al. (2018) die durchaus auch auf langfristige wirtschaftliche Effekte hinweisen Wagner, Petev (2019).
  5. Auch zu dieser negativen „Reaktion auf die Reaktion“ gibt es dutzende Studien aus verschiedenen europäischen Kontexten, u.a. Neumann et al. (2018) über Muslime aus Deutschland und den Niederlanden.
  6. Selbstverständlich gibt es ganz unterschiedliche Formen des Islamismus, sowohl schiitischer als auch sunnitischer Prägung, die untereinander in erbittertem Konflikt stehen. Den Grundgedanken des Primats der islamischen Theologie über menschengemachtes Recht teilen sie.
  7. Das Spiegelbild dazu sind Rechtsextreme, die ebenfalls, nur von außen, die Zugehörigkeit zum Islam essentialisieren und Kontakte über Religionsgrenzen hinweg zu unterbinden suchen.
  8. Die Grafik über die Bedeutung des Islams für Muslime ist jedenfalls kompatibel mit den Zahlen aus Studien des Österreichischen Integrationsfonds aus 2017 und 2019. Natürlich könnten zahlreiche weitere Unterscheidungen nach Herkunftsland, Form des Islam, Verweildauer in Europa, usw. gemacht werden, die jedoch für die Grundsatzfrage nicht relevant erscheinen.
  9. Dies ist natürlich eine je nach Land unterschiedliche Grauzone, die nicht unbedingt eindimensional und schon gar nicht eindeutig gezogen werden kann, aber hier geht es um die grundsätzliche Existenz einer solchen Grenze.
  10. Um kurz auf die Frage des Kopftuchs einzugehen: Das Kopftuch ist ein deutliches Segregationsmerkmal und als solches für die Integration ein Hindernis, aber keine grundsätzlich ideologische Barriere dafür. Die wünschenswerte Reduktion des Kopftuchtragens sollte deshalb nicht über den Ausschluss von kopftuchtragenden Frauen aus dem Alltag geschehen, sondern über eine Förderung von Interpretationen, die den Kopftuchzwang ablehnen (siehe weiter unten).
  11. Auch hier gilt, dass die Islamisten aus der Türkei und etwa aus Saudi-Arabien zwar keinesfalls befreundet sind, aber durch ihren Wettbewerb den Einfluss des Islamismus weltweit und auch in Europa insgesamt stärken.
  12. „Politischer Islam“ ist zwar kein grundsätzlich falscher Begriff, aber semantisch noch zu nah an „Islam“, um hier den gewünschten Effekt zu erzielen.
  13. Dadurch entsteht ein starkes Druckmittel auf muslimische Staaten, erst gar nicht mit der Einmischung in interne Angelegenheiten Europas zu beginnen.