Erneut explodieren aufgrund der COVID-19-Pandemie weltweit Staatsschulden, was der ohnehin belebten Debatte über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen und Nachhaltigkeit derartiger Schulden neue Dringlichkeit verschafft. In diesem Artikel beschreibe ich – für einen Staat der in seiner eigenen Währung Schulden aufnehmen kann – zunächst die unmittelbaren makroökonomischen Konsequenzen von vier Vorgängen: (i) Schuldaufnahme im Privatsektor, (ii) Schuldaufnahme bei der Zentralbank; (iii) Kauf von Anleihen durch die Zentralbank („Neutralisierung“), (iv) Schuldenerlass durch die Zentralbank („Monetarisierung“). Ich zeige, dass eine Neutralisierung oder Monetarisierung der Schulden in einem Niedrigzinsumfeld keine nennenswerten direkten Effekte auf die Volkswirtschaft haben. Aufgrund der grundlegenden ideologischen Ablehnung der Monetarisierung und der Angst, die sie bei vielen ökonomischen Akteuren hervorruft, kann diese jedoch indirekt inflationäre Tendenzen hervorrufen. Da auch unabhängige Zentralbanken die Budgetpolitik letztlich mittragen, weil sie den Staat nicht bankrott gehen lassen können, ist das Schuldenniveau in Eigenwährung (auch in Relation zum BIP) keine relevante Kenngröße und stellt auch keine Last für zukünftige Generationen dar. Ein formeller Schuldenerlass löst also nur ein Scheinproblem – eine schrittweise, bereits vielfach erprobte Neutralisierung im Rahmen des Mandats der Zentralbank (die etwa in Japan bereits weit fortgeschritten ist) garantiert letztlich ebenfalls die Nachhaltigkeit nominell beliebig hoher Staatsschulden und ist einer Monetarisierung vorzuziehen.
2. Mai 2021
21' Lesezeit
In der gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Debatte nehmen Staatsdefiziten und Staatsschulden eine zentrale Rolle ein. Spätestens seit der Finanzkrise von 2008, die sich bis zur Intervention der EZB 2011/2012 und der Ansage von Mario Draghi, dass der Euro mit mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gerettet würde zu einer europäischen Staatsschuldenkrise ausgewachsen hatte, liegen Staatsschulden im Fokus volkswirtschaftlicher Debatten. Um die Fragen, welche Staatsschuldenlast bzw. welche öffentliche Neuverschuldung langfristig „tragbar“ sei und zu welchem Grad Zentralbanken Staatsschulen aufkaufen (und mehr oder weniger vollständig verschwinden lassen können) hat sich ein Richtungsstreit um die Zukunft der Weltwirtschaft entfacht.
Mit der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und der äußerst laschen Staatsschuldenpolitik der USA, der der EU sowie fast aller anderen Industrienationen, hat das Thema nochmals an Bedeutung geworden. Wie entstehen Staatsschulden? Wie hoch ist eine nachhaltige Verschuldung? Wer zahlt diese Schulden und wann? Angeregt von Ansätzen der Modern Monetary Theory (MMT), und der aktuellen französischen Debatte über die Bedeutung und die Zukunft von Staatsschulden, möchte ich diese Punkte beleuchten.
Fiatgeld, Zentralbanken und Staatshaushalte
Als Vorbereitung für die Analyse der Entstehung und Auswirkungen von Staatsschulden begonnen wird, gilt es, einige Merkmale moderner Wirtschaftssysteme, deren Zahlungsmittel nicht an intrinsisch wertvolle Güter gebunden sind, in Erinnerung zu rufen.
Seit dem Ende des Goldstandards 1973 sind die Hauptwährungen nicht mehr in Edelmetalle oder andere intrinsisch wertvolle Güter austauschbar. Sie sind „Fiatwährungen“ – rein konventionelle Tauschmittel, die gänzlich durch Vertrauen in die wechselseitige Anerkennung funktionieren. Ein zentraler Faktor für dieses Vertrauen ist, dass der Staat seine Steuern in seiner eigenen Währung einnimmt. Diese Verpflichtung zur Steuerzahlung ist (aufgrund das Gewaltmonopol des Staats) ab einer gewissen Steuerlast ausreichend, um den Bedarf an Fiatwährungen zu sichern und sie als Hauptzahlungsmittel im Staat zu etablieren.
Woher kommt dieses Fiatgeld? Der Mechanismus dafür ist recht komplex und im Detail hier auch nicht relevant. Grundsätzlich geht er auf staatliche Zentralbanken zurück, die „Zentralbankgeld“ an Banken verleihen, die ihrerseits über Kreditvergaben „Buchgeld“ schaffen, das ein Versprechen auf die Auszahlung von Zentralbankgeld (etwa Bargeld) darstellt.
Modernes Fiatgeld gewinnt seinen Wert unter anderem durch die staatliche Gewalt und die Verpflichtung zur Steuerzahlung. Dadurch, dass es in letzter Instanz von einer staatlichen Stelle herausgegeben wird, wird ein wesentlicher staatlicher Steuermechanismus in die Wirtschaft eingebaut.
Eine moderne Zentralbank agiert also natürlich nicht wie eine herkömmliche Bank, sondern ist eine Steuerungsinstitution, die über ihr Monopol auf die Schaffung von Zentralbankgeld verschiedene Variablen (wie den Geldpreis für Banken oder ihre Liquidität in Krisensituationen) beeinflusst und damit makroökonomische Ziele verfolgt. Zumeist sind dies Inflationsziele, teilweise aber auch ein hohes Beschäftigungsniveau (USA), ein stabiler Wechselkurs (Schweiz) oder ein solides Bankensystem.
Unabhängig davon, dass Steuereintreibung und staatliche Gewalt den Wert des Geldes letztlich garantieren, nimmt der Staat über den Staatshaushalt weitere volkswirtschaftliche Steuerungsfunktionen wahr, die von der Zentralbank nicht übernommen werden können – diese sind zudem demokratisch legitimiert, wenn das Budget von einer Volksvertretung genehmigt wird. Die wesentlichen Funktionen sind:
- Schaffung von Einkommen (Löhne von Staatsbediensteten, Kauf von Gütern und Dienstleistungen, Investitionen)
- Vernichtung von Vermögenswerten (Steuern, Abgaben und Zölle auf Privatpersonen und Unternehmen)
- Kompensierung von gesamtwirtschaftlichen Externalitäten (Steuern und Zölle auf negative, Subventionen auf positive externe Effekte)
- Beeinflussung der Zinssatzes, der Privatverschuldung bzw. Sparquote (Aufnahme und Rückzahlung von Staatsschulden)
Diese makroökonomische Steuerungsfunktion des Staatshaushalts besteht unabhängig davon, wie sie genutzt wird. Die Behauptung, der Staat solle möglichst „nicht in die Wirtschaft eingreifen“, bedeutet tatsächlich, dass er seine budgetären Werkzeuge nur in einer beschränkten Weise einsetzen solle, etwa mit geringen Steuern und Ausgaben (im vorletzten Abschnitt komme ich auf die Ursache solcher Einschränkungen zurück). Die Werkzeuge bleiben aber weiterhin verfügbar und können grundsätzlich eingesetzt werden: Man hat in den letzten Monaten gesehen, wie irrelevant selbst auferlegte „Schuldenbremsen“ und „Stabilitätspakte“ sind, wenn der politische Entschluss fällt, sie zu missachten.
Zwei staatliche Akteure – die Zentralbank über das Geldangebot und die Regierung über den Staatshaushalt – üben unterschiedliche volkswirtschaftliche Steuerungsfunktionen aus. Geldpolitische Instrumente der Zentralbank und budgetpolitische Instrumente der Regierung unterliegen nicht den Einschränkungen mikroökonomischer Akteure. Selbst auferlegte Einschränkungen bei der Verwendung dieser Mittel können jederzeit aufgehoben werden.
In den nächsten drei Abschnitten möchte ich zunächst darlegen, wie die Werkzeuge von Staatshaushalt und Zentralbank interagieren und welche fundamentalen makroökonomischen Auswirkungen sich daraus ergeben. In den darauf folgenden zwei Abschnitten möchte ich die möglichen psychologischen Konsequenzen der Verwendung gewisser Werkzeuge beleuchten, die sich daraus ergeben, dass ökonomische Akteuren an gewisse wirtschaftlichen Modelle glauben – ungeachtet dessen, ob diese korrekt sind oder nicht.
Der Einfachheit halber werde ich mich auf Staaten beschränken, die alle Einnahmen und Ausgaben in ihrer eigenen Fiatwährung tätigen und deren Zentralbanken variable Wechselkurse zulassen. Diese Vereinfachung trifft etwa auf die USA, das Vereinigte Königreich, Japan, aber auch die EU als Ganzes zu, nicht jedoch auf kleinere Staaten oder Entwicklungsländer ohne Leitwährung. Auf die besonderen Umstände, die für solche Staaten gelten, werde ich in einem Folgeartikel eingehen.
Staatsschulden I: Verschuldung am Privatmarkt
Beginnen wir die Analyse mit einem Staat mit einem „ausgeglichenen“ Staatshaushalt, in dem also das vernichtete Geldvermögen (Steuereinnahmen) mit dem geschaffenen Einkommen (Ausgaben) im Gleichgewicht ist. Ein derartiges Budget beschränkt sich rein auf Umverteilung von Geld zwischen wirtschaftlichen Akteuren im Land. Diese Umverteilung ändert die Geldmenge nicht, kann aber dennoch bedeutende volkswirtschaftliche Konsequenzen haben, die von der von der Form der Verteilung abhängen.
Will der Staat nun zusätzliches Geld in spezifischen Bereichen ausgeben – etwa aufgrund einer Naturkatastrophe oder weil die Arbeitslosigkeit aufgrund einer geplatzten Immobilienblase ansteigt – hat er üblicherweise zwei Optionen, beziehungsweise eine Kombination daraus: (i) Steuern um den Fehlbetrag erhöhen, oder (ii) Schuldscheine über den Fehlbetrag ausgeben.
Was diese beiden Varianten unterscheidet, ist nicht die Menge des sich im Umlauf befindlichen Gelds, die in beiden Fällen konstant bleibt. Der Unterschied ist, dass bei der Schaffung von Staatsschulden zusätzlich ein äquivalenter zinsbringender Vermögenswert (Schuldscheine) in Umlauf gebracht wird, der das nominelle private Gesamtvermögen um den Betrag der aufgenommenen Schulden erhöht. Selbstverständlich steht dem nominell gestiegenen Privatvermögen eine entsprechend höhere Verbindlichkeit auf Seite des Staats entgegen.
Aufgrund dieses Effekts kann die Aufnahme von Staatsschulden zur Finanzierung neuer Ausgaben inflationäre Konsequenzen haben – abhängig davon, ob durch die neue Ausgabenverteilung entsprechend mehr produziert wird und damit die neu in Umlauf gebrachten Vermögenswerte in der Realwirtschaft abgedeckt wird. Es ist wichtig zu betonen, dass das bloße Ausmaß des Defizits (auch in Relation zum BIP) prinzipiell nichts über das Maß der inflationären Konsequenzen aussagt.
Darüber hinaus wird tendenziell der Zinssatz für Sparprodukte steigen, weil die staatlichen Anleihen mit anderen Schuldscheinen und Einlagen bei Banken konkurrieren; wie ausgeprägt dieser Effekt ist, hängt stark vom Gewicht der neu aufgenommenen Staatsschulden im Gesamtmarkt für Sparprodukte, von der wirtschaftlichen Lage und der Art der Ausgaben ab. Höhere Zinsen haben tendenziell inflationshemmende Auswirkungen, weil kreditfinanzierte Produktionssteigerung beschränkt wird.
Um neue Ausgaben zu finanzieren nimmt ein Staat traditionell entweder zusätzliche Steuern ein, was zu keiner Änderung der Summe der Privatvermögenswerte führt, oder nimmt Schulden auf, wodurch das nominelle Vermögen des Privatsektors um den Betrag der Schulden steigt. Umgekehrt führt eine Rückzahlung zu einer Verringerung des nominellen Privatvermögens.
Die Hypothese, nach der der Privatsektor bereits die spätere Rückzahlung der Schulden – die grundsätzlich durch höhere Steuern erfolgen müsste – berücksichtige und dadurch die makroökonomischen Effekte der nominellen Vermögenserhöhung kompensiere („Ricardo-Barro-Effekt“) lässt zwei Faktoren außer Acht. Erstens, dass der Staat die Schulden in Fiatwährung beliebig verlängern kann und gänzlich unklar ist, ob und wann eine Rückzahlung vorgenommen wird und zweitens, dass selbst bei einer Rückzahlung durch eine Steuererhöhung bis zuletzt unbestimmt bleibt, wer für die Schuldrückzahlung aufkommt.
In einer Wirtschaft, in denen ein Staat regelmäßig Schulden aufnimmt, ist es für jeden Akteur rational, so zu handeln, als wäre er von einer Schuldrückzahlung nicht betroffen, zumindest solange es keine stichhaltigen Indikationen für eine bald bevorstehende Steuererhöhung für diesen Akteur gibt.
Staatsschulden II: Geldschöpfung
Zusätzlich zu den Optionen, die im letzten Abschnitt besprochen wurden, hat ein Staat grundsätzlich auch die Möglichkeit, einen Kredit in Eigenwährung direkt bei der Zentralbank aufzunehmen, wie es etwa auch Banken tun können. Diese Option wird momentan kaum verwendet, ist aber historisch durchaus erprobt. In den USA war dies bis 1935 sowie zwischen 1942 und 1981 der Fall, in Kanada von 1930 bis 1975 und in Frankreich bis 1993. Leicht abgewandelte Varianten wie der direkte Kauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank wurden von der Bank of England, der polnischen Zentralbank und der Reserve Bank of New Zealand im Rahmen der Corona-Pandemie angekündigt.
Dennoch gilt diese Art der staatlichen Verschuldung – über die berüchtigte „Notenpresse“ – für viele als zutiefst verwerflich. Bevor ich auf die Sinnhaftigkeit dieser Einschätzung eingehe, möchte ich zunächst darstellen, wie monetäre Finanzierung des Staatshaushalts funktioniert und wo überhaupt der volkswirtschaftliche Unterschied zur Aufnahme von Staatsschulden liegt.
Nimmt ein Staat Schulden direkt bei der Zentralbank auf, bedeutet dies, dass sie dem Staat eine gewisse Summe Zentralbankgeld im Gegenzug zu Schuldscheinen zur Verfügung stellt. Diese Geldschöpfung „verlängert“ die Bilanz der Zentralbank.
Der Unterschied für die Volkswirtschaft ist also einfach, wie aus der Grafik ersichtlich, dass monetäre Finanzierung nominell zusätzliche zinsfreie Vermögenswerte (Zentralbankgeld) schafft; die Aufnahme von Schulden auf dem Privatmarkt hingegen zinsbringende Vermögenswerte (Schuldscheine). Der inflationäre Effekt der monetären Finanzierung kann deshalb ausgeprägter sein, weil monetäre Finanzierung im Gegensatz zur Schuldaufnahme den allgemeinen Zinssatz nicht erhöht, sondern eventuell drückt. In einer Situation wie der jetzigen, in welcher der Zinssatz von Staatsanleihen vernachlässigbar ist, wird es hingegen kaum makroökonomische Unterschiede geben.
Wird der Staatshaushalts durch Geldschöpfung statt durch Schulden ausgeglichen, bestehen die neu geschaffenen privaten Vermögenswerte aus Zentralbankgeld und nicht aus zinsbringenden Anleihen. Im Gegensatz zur Aufnahme von Schulden im Privatsektor drückt dieser Prozess das Zinsniveau; der Effekt ist umso kleiner, je geringer die Zinsen auf Staatsanleihen sind.
Es kann durch den gesunkenen Zinssatz in diesem Fall auch zu einer überproportionalen Preissteigerung bei beschränkt verfügbaren Vermögenswerten (Immobilien, Kunst, Kryptowährungen etc.) kommen, weil Personen mit einer hohen Sparquote kaum gewinnbringende Anlagen finden.
Staatsschulden III: Neutralisierung und Monetarisierung
An diesem Punkt ist es interessant festzustellen, dass die Zentralbank die von ihr erworbenen Staatsschulden jederzeit am Privatmarkt verkaufen, also Zentralbankgeld vernichten und dafür Schuldscheine in Umlauf bringen könnte. Der Effekt auf die Volkswirtschaft ist derselbe, wie wenn der Staat (zeitverzögert, zum Zeitpunkt des Verkaufs durch die Zentralbank) am privaten Anleihenmarkt Schulden aufgenommen hätte.
Umgekehrt kann eine Zentralbank auch jederzeit vom Privatsektor staatliche Schuldscheine kaufen und im Gegenzug Zentralbankgeld in Umlauf bringen. Buchhalterisch und makroökonomisch gibt es keinen Unterschied zwischen einer Zentralbank, die Anleihen auf dem Sekundärmarkt kauft (quantiative easing) und einer Zentralbank, die das Finanzministerium im selben Ausmaß direkt finanziert. Der Ankauf von Anleihen am Sekundärmarkt ist eine zeitverzögerte Notenpresse!
Dass der Ankauf von Staatsanleihen durch eine Zentralbank (in einem Niedrigzinsumfeld) keine unmittelbaren volkswirtschaftlichen Konsequenzen hat, hat sich empirisch vielfach gezeigt. Seit 2011 haben die EZB, die BoE, die Fed – und in einem noch größeren Ausmaß die Japanische Zentralbank – Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gekauft. Nach einem weiteren Ankaufprogramm aufgrund der Corona-Pandemie waren 2020 ca. 25% der Staatsschulden der meisten europäischen Länder von Zentralbanken gehalten, in den USA 22%, in Japan sogar 43%, was die untenstehende Abbildung zeigt: Trotz der massiven Kaufprogramme waren in keinem der Länder inflationäre Auswirkungen zu bemerken; die Zinsen wurden aufgrund ihres ohnehin niedrigen Niveaus auch nicht signifikant beeinflusst.
Wenn der Staat Schulden bei der Zentralbank aufnimmt oder diese später zur Zentralbank gekommen sind, sind sie neutralisiert: Zinszahlungen aus dem Staatshaushalt an die Zentralbank kehren über die Gewinnausschüttung der Zentralbank wieder in das Budget zurück (um dies grafisch zu verdeutlichen, sind Staatshaushalt und Zentralbank in den Grafiken blau eingefärbt). Ganz gleich wie hoch diese Schulden und ihre Zinslast nominell sein mag – sie wird das Budget nicht belasten.
Ein Schritt über die Neutralisierung der Staatsschulden hinaus ist die Monetarisierung, mit der die Staatsschulden von der Zentralbank erlassen werden. Dieser Prozess (mit einer entsprechenden Reduktion des Eigenkapitals, die für eine Zentralbank keinerlei Konsequenzen hat) ist rein buchhalterischer Natur und hat keine direkten Auswirkungen auf den Privatsektor. Eigentlich bedarf es dieser Operation auch gar nicht: Die Selbstverpflichtung, die Staatsanleihen ewig zu halten und zu verlängern („roll over debt“) ist zu einem Schuldenerlass vollkommen äquivalent, auch wenn die Schuldscheine dann formal weiter existieren und in den Bilanzen aufscheinen.
Die Neutralisierung von Staatsschulden – der Kauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank – hat keine Auswirkungen auf die nominellen Vermögenswerte im Privatsektor und führt unmittelbar zu keinem Inflationsdruck, was in den letzten Jahren auch empirisch zu beobachten war. Das Zinsniveau wird gedrückt, jedoch umso weniger, desto geringer Staatsanleihen verzinst sind. Die vollständige Monetarisierung von Staatsschulden (Schuldenerlass durch die Zentralbank) hat überhaupt keinen (direkten) makroökonomischen Effekt.
Zwischenfazit
Fassen wir zum Überblick die direkten volkswirtschaftlichen Konsequenzen der unterschiedlichen Formen der Finanzierung des Staatshaushalts und der Umwandlungen von Staatsschulden grafisch zusammen; insbesondere ihre Auswirkungen auf nominelle Vermögenswerte \(V\), Inflation \(I\) und Zinsniveau \(Z\).
In dieser Darstellung sind die bereits erwähnten Ähnlichkeiten der „privaten“ und „monetären“ Finanzierung (beide mit nomineller Vermögenssteigerung und möglicher Inflationssteigerung) sowie die limitierten Auswirkungen (vorrangig auf das Zinsniveau) der „Neutralisierung“ der Staatsschulden, also dem Kauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank, ersichtlich.
Am interessantesten ist die volkswirtschaftliche Bedeutungslosigkeit der „Monetarisierung“, also der formalen Vernichtung von Staatsschulden durch die Zentralbank. Umso überraschender ist, dass ein solcher Schritt vielfach als Häresie betrachtet wird, als Sündenfall, der unweigerlich zu Hyperinflation führt. In den nächsten zwei Abschnitten möchte ich auf die Ursachen dieser paradoxen Einschätzung eingehen und dabei die indirekte Effekte einer Beteiligung der Zentralbank bei budgetären Fragen beleuchten.
Indirekte Konsequenzen I: die Angst vor der Politik
Es sollte so manchem Leser suspekt erscheinen, dass die Vernichtung der in einer Zentralbank geparkten Staatsschulden keine makroökonomische Konsequenzen haben solle, da Schulden – zukünftige Verpflichtungen – eine zentrale wirtschaftliche Funktion erfüllen, die durch einen plötzlichen Schuldenerlass erheblich gestört würde. Diese Bemerkung ist grundsätzlich richtig, trifft jedoch nur auf mikroökonomische Akteure zu.
Für einen privaten, mikroökonomischen Akteur, der – zumindest näherungsweise – mit eingeschränkten Ressourcen nach einer gewissen Maximierung des eigenen Wohlergehens operiert, bedeutet ein Kredit, dass aktuelles Einkommen mit zukünftigem Einkommen erkauft wird. Wenn ein Akteur davon ausgehen kann, dass seine Schulden nicht zurückgezahlt werden müssen, kann er sein aktuelles Einkommen steigern, ohne sein zukünftiges Einkommen zu reduzieren – die Abwägung zwischen Gegenwart und Zukunft funktioniert nicht mehr. In diesem Fall wäre es es rational, sich sofort so hoch wie möglich zu verschulden, möglichst viel zu konsumieren und Vermögenswerte anzuhäufen.
Es ist offensichtlich, dass dieses Verhalten wirtschaftlich problematisch wäre: Schon ein einziger Akteur, der sicher ist, dass er seine Schulden nicht wird zahlen müssen, bringt das gesamte System zum Kollaps, weil er durch die Ansammlung von Vermögenswerten die Preise in beliebige Höhen treibt. Weshalb trifft dieses Problem nicht auf staatliche Akteure zu, die sich unendlich verschulden können?
Die Antwort ist simpel: Ein Staat ist kein homo oeconomicus sondern folgt politischen Vorgaben. Er verfolgt verschiedene nicht-wirtschaftliche (Sicherheit, Rechtssicherheit, Bildung etc.) und gesamtwirtschaftliche (Wachstum, Beschäftigung, Wohlstand etc.) Ziele; er hat keinen Grund, aufgrund von Gratiskrediten das gesamte Eigentum im Staat aufzukaufen oder unendlich viel auszugeben, sondern wird aufgrund der negativen Konsequenzen auf die wirtschaftlichen Akteure, denen er verpflichtet ist, davon absehen. Wie auch die Zentralbank ist er ein makroökonomischer Lenkungsakteur.
Für einen Staat, der politische und volkswirtschaftliche Ziele verfolgt, sind das eigene Einkommen, Vermögen und Schulden nicht relevant, außer sie beschneiden über Umwege die Möglichkeit zur Verfolgung der eigenen Politik. Der Unterschied zwischen einer formal immensen Verschuldung bei der Zentralbank und einem Erlass dieser Schulden ändert die Erwartungshaltung des Staats nicht, weil der Prozess der Monetarisierung keine unmittelbaren gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen hat. Ein Schuldenerlass durch die Zentralbank ist deshalb nicht mit denselben problematischen Auswirkungen wie ein Schuldenerlass für Privatpersonen oder Firmen verbunden.
Nun müsste die aufmerksame Kritikerin mir entgegnen, dass es sehr wohl ein politisches Ziel sein kann, einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben oder eine gewisse Verschuldung nicht zu überschreiten. Dies ist eine zutreffende, durchaus bedeutende Erkenntnis. Wenn ein solches Ziel besteht, kann ein Schuldenerlass tatsächlich zu einer Änderung der Staatsausgaben führen, hätte also reale volkswirtschaftliche Konsequenzen. Besteht etwa ein „Defizit-“ oder „Schuldenlimit“ kann sich das Verhalten des Staats durch eine Monetarisierung eines großen Teils seiner Schulden tatsächlich verändern.
Doch macht es in einer mit Fiatgeld funktionierenden Wirtschaft a priori keinen Sinn, sich derartige Einschränkungen zu verordnen und den Staatshaushalt wie ein Firmen- oder Familienbudget zu führen. Das Argument gegen die Monetarisierung von Schulden ist also zirkulär, weil es die Sinnhaftigkeit der künstlichen mikroökonomischen Beschränkungen voraussetzt beziehungsweise selbst schafft. Nur wenn der Staat starre budgetäre Ziele verfolgt, sind Änderungen in seiner Schuldenlast für seinen budgetären Spielraum (und damit indirekt auch volkswirtschaftlich) relevant. Tut er dies nicht und sieht lediglich auf makroökonomische Kenngrößen, hat die Monetarisierung seiner Schulden keine Auswirkung auf sein budgetäres Verhalten. Eine solche Zielsetzung hat Abba Lerner unter dem Schlagwort functional finance zusammengefasst:
Functional Finance rejects completely the traditional doctrines of “sound finance” and the principle of trying to balance the budget over a solar year or any other arbitrary period. In their place it prescribes: first, the adjustment of total spending (by everybody in the economy, including the government) in order to eliminate both unemployment and inflation, using government spending when total spending is too low and taxation when total spending is too high; second, the adjustment of public holdings of money and of government bonds, by government borrowing or debt repayment, in order to achieve the rate of interest which results in the most desirable level of investment; and, third, the printing, hoarding or destruction of money as needed for carrying out the first two parts of the program. (Abba Lerner (1943))
Die konkreten volkswirtschaftlichen Ziele, die Lerner vorgibt, können sicherlich hinterfragt und adaptiert werden, aber seine Beobachtung, dass nur reale Kenngrößen den Staatshaushalt beeinflussen sollen, ist eine zentrale Erkenntnis, die auch von der MMT aufgegriffen wird. Ist der Haushalt des Staats allein an volkswirtschaftlichen Kenngrößen ausgerichtet, wird seine „Schuldenlast“ auch niemals ein Problem werden, weil das Defizit immer einen gesamtwirtschaftlichen Zweck hat und keine realen Ungleichgewichte produziert.
Die Angst vor der Monetarisierung von Schulden und die parallele Furcht vor der „Überschuldung“ des Staats bauen also auf dem Missverständnis auf, dass der Staat letztlich wie eine Familie oder ein Unternehmen haushalten müsse – eine Ansicht, die insbesondere im deutschsprachigen Raum weit verbreitet ist wird und wohl auf einer diffusen Urangst vor einer Hyperinflation wie jener von 1923 beruht.
Es gibt aber auch eine andere, nachvollziehbare Begründung, Monetarisierung von Staatsschulden zu ächten – im vollen Verständnis, dass sie kaum direkte volkswirtschaftliche Konsequenzen hat. Es besteht jedoch auch die Sorge vor indirekten makroökonomischen Konsequenzen der Erkenntnis der Möglichkeit von Monetarisierung, weil Politikern und Wählern nicht zugetraut wird, mit ihr umzugehen. Wenn die Angst vor hoher Verschuldung durch die Möglichkeit der einfachen Vernichtung der Schulden wegfällt, so das Argument, würde der Staat letztlich unkontrolliert Geld ausgeben, nicht mehr auf volkswirtschaftliche Kenngrößen achten und damit letztlich seine makroökonomische Steuerungsfunktion aufgeben. Die Fiktion des Staats als mikroökonomischer Akteur wird in dieser paternalistischen Sichtweise bewusst aufrecht erhalten, um die gesamtwirtschaftliche Stabilität beizubehalten. Paul Samuelson hat den Begriff des „notwendigen Aberglaubens“ dafür verwendet:
I think there is an element of truth in the view that the superstition that the budget must be balanced at all times [is necessary]. Once it is debunked [that] takes away one of the bulwarks that every society must have against expenditure out of control. There must be discipline in the allocation of resources or you will have anarchistic chaos and inefficiency. Paul Samuelson (1995)
Diese Begründung ist zwar rational, aber pervers, weil sie Bürger und Politiker infantilisiert. Sie geht davon aus, dass die Mehrheit Menschen ohne Furcht vor Überschuldung nicht in der Lage sei, die tatsächlichen makroökonomischen Grenzen, die dem Staatshaushalt gesetzt werden müssen (etwa Inflation), zu verstehen und damit umzugehen.
Eine solche Verschleierungstaktik ist natürlich keine nachhaltige Lösung, weil die Realität irgendwann anfängt durchzuschimmern. Es erscheint mir deshalb nicht sinnvoll, weiterhin den Aberglauben zu propagieren, dass Staatsschulden wie Privatschulden zurückgezahlt werden müssten. Denn wenn die Bevölkerung erkennt, dass diese Vorstellung absurd ist, sie aber parallel dazu nicht informiert wird, welche Funktion Steuern, Ausgaben und Schulden tatsächlich haben, besteht die Gefahr, einen Mythos mit einem anderen, womöglich noch schädlicheren, zu ersetzen – etwa dass Reichtum durch ein beliebig hohes Budgetdefizit hergestellt werden könnte. Auf Ignoranz zu setzen ist vielleicht eine Taktik, aber keine Strategie.
Die Beschneidung der budgetären Freiheit des Staats basiert entweder (i) auf einem Missverständnis (der Staat müsse wie ein mikroökonomischer Akteur haushalten) oder (ii) auf einem tiefen, paternalistischen Misstrauen gegenüber einer demokratisch legitimierten Budgetpolitik (Politikern und Wählern sei nicht zu trauen, wenn der Aberglaube an das ausgeglichene Budget fällt).
Eine weitere Kuriosität ist die „Unabhängigkeit von Zentralbanken“. Diese Unabhängigkeit ist ebenfalls eine Konsequenz des Misstrauens in die Politik; sie dient dazu, kurzfristige geldpolitische Entscheidungen zu verhindern, die volkswirtschaftlich längerfristig destabilisierend wirken können (etwa die Bildung von Vermögenspreisblasen). Selbstverständlich ist diese Unabhängigkeit nicht wirklich solide, weil das Mandat einer Zentralbank gesetzlich geändert werden kann; unabhängig davon ist jede Zentralbank in letzter Instanz dazu gezwungen, einen Staatsbankrott in Eigenwährung zu verhindern, um einen Kollaps der Währung und der Wirtschaft zu vermeiden. Eine Zentralbank wird – ganz gleich wie ihr Mandat ausformuliert ist – mit der Fiskalpolitik „kooperieren“, und den Staatshaushalt entweder direkt finanzieren oder Staatsschulden neutralisieren, wenn die Gefahr einer untragbaren Zinslast für den Staat besteht. Alle Versuche, den Staat als mikroökonomischen Akteur darzustellen und volkswirtschaftliche Funktionen an unpolitische Zentralbanken auszulagern, laufen an diesem Punkt ins Leere, weil der Staat seine einzigartigen makroökonomische Funktionen wahrnehmen können muss und deshalb nicht zahlungsunfähig werden darf. Die Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik wird an einem gewissen Punkt der Verschuldung zur Fiktion.
Indirekte Konsequenzen II: Massenpsychologie und selbsterfüllende Prophezeiungen
Fassen wir kurz zusammen – die Neutralisierung oder Monetarisierung von bestehenden Staatsschulden (in eigener Fiatwährung) hat kaum direkte volkswirtschaftliche Effekte. Die Angst davor, dass das Bewusstsein dieses Sachverhalts indirekt die Politik dazu verführen würde, übermäßig viel auszugeben, was zu zerstörerischen Preisanstiegen und Währungsverfall führen würde, kann tatsächlich zu einem Vertrauensverlust, Inflation und einer Wirtschaftskrise führen.
Die offensichtliche Lösung ist, das Volk und die politischen Akteure über diese makroökonomischen Zusammenhänge zu informieren und den „Aberglauben“ an willkürlich ausgeglichene Budgets durch ein Verständnis der tatsächlichen Konsequenzen der Staatsausgaben zu ersetzen. Dadurch würde klar, dass es volkswirtschaftliche Kenngrößen wie Inflation, Immobilienpreise oder Zinssätze sind, die das Ausmaß der Staatsausgaben vorgeben, und nicht die Höhe des Defizits oder der Staatsverschuldung. In einem sehr bescheidenen Rahmen ist dieser Aufsatz ein Beitrag zu dieser Aufklärung.
Dieser Prozess wurde glücklicherweise bereits im Anschluss an die Krise von 2008 eingeleitet und erreicht mittlerweile breite Bevölkerungsschichten; es ist kein Zufall, dass Joe Biden heute eine Schuldenpolitik propagiert, an die Barack Obama nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Dennoch wird diese ideologische Wende Jahre, vielleicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen; gerade Europa läuft Gefahr, durch seine ideologische und institutionelle Trägheit weiter in der Urangst vor den Staatsschulden verhaftet zu bleiben, in einer Zeit, in der verschiedene Krisen und ein langer Investitionsmangel gerade das Gegenteil verlangen.
Es wäre also durchaus verlockend, diesen langwierigen Prozess zu umgehen. Am einfachsten würde dies dadurch erreicht, dass unabhängige Zentralbanken einen Großteil der Staatsanleihen aufkaufen und für nichtig erklären. Dadurch wären mit einem Schlag Schuldengrenzen ausgehebelt und gezeigt, dass diese Grenzen willkürlich sind. Der Aberglaube würde rasch zusammenbrechen.
Doch dieser Vorschlag birgt auch große Gefahren. Wenn ein großer Teil der wirtschaftlichen Akteure nämlich fest davon überzeugt ist, dass eine derartige Monetarisierung der Schulden furchtbare (direkte und indirekte) inflationäre Effekte hat, dann treten diese Effekte auch ein, weil Inflation im Grunde eine selbsterfüllende Prophezeiung ist. Die bedeutenden Beispiele Hyperinflationen wurden unterschiedlich ausgelöst (teilweise durch exogene Schocks, teilweise auch durch exzessive Staatsausgaben), haben sich aber immer weit über diesen Auslöser hinaus entwickelt, und als reines psychologisches Massenphänomen weiterentwickelt.
Der Verlust in das Vertrauen der Währung, der mit einem Schuldenerlass einhergehen könnte, ist in einer Welt, die (noch) noch an die Bedeutung von Staatsschulden glaubt, eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Die USA wären wohl der einzige Staat, der dies mehr oder weniger unbeschadet überstehen könnte, weil der internationale Dollarbedarf den Vertrauensschock lang genug konterkarieren könnte, bis klar wird, dass die Monetarisierung der Schulden keine direkten volkswirtschaftlichen Auswirkungen hat.
Die Gefahr einer Monetarisierung der Staatsschulden, also eines Ankaufs durch die Zentralbank mit anschließendem Schuldenerlass, liegt nicht in den direkten inflationären Effekten, sondern darin, dass viele ökonomische Akteure daran glauben, dass die Währung dadurch ihren Wert verlieren wird. Die tatsächliche, indirekte Gefahr ist, dass Inflation im Kern eine selbsterfüllende Prophezeiung ist.
Deshalb erscheint es mir sinnvoller, die aktuelle Politik der Neutralisierung der Staatsschulden im Rahmen des Mandats der Zentralbanken weiterzuführen, da diese mittlerweile bekannt ist und für keinen Vertrauensverlust in Zentralbank, Währung und Staat mehr sorgt. Durch eine schrittweise Erhöhung der von der Zentralbank gehaltenen Staatsschulden würde auch klar, dass das Ausmaß – 10%, 100% oder 1000% des BIP – grundsätzlich irrelevant ist und eine Monetarisierung an sich keine volkswirtschaftlichen Probleme schafft, aber eben auch keine löst. Japan ist den anderen entwickelten Volkswirtschaften diesbezüglich einen Schritt voraus und hat durch die lange Erfahrung mit der Bedeutungslosigkeit von – hierorts noch als „untragbar“ betrachteten – Schulden bereits eine Wende im Verständnis von Staatsschulden erreicht. Nun muss nur noch die Erkenntnis folgen, dass das japanische Beispiel keine magische Anomalie darstellt, sondern reproduziert werden kann.
Wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben, wird die Zentralbank letztlich mit der Budgetpolitik kooperieren und die Zinslast erträglich halten, ganz gleich ob durch Neutralisierung (mit nominell hohen Schulden) oder Monetarisierung (mit nominell niedrigeren Schulden). Eine Monetarisierung erscheint mir jedoch – weil sie von vielen für gefährlich angesehen wird – die gefährlichere Variante.
Zusammenfassung
Zum Abschluss möchte ich die Argumente diese Artikels rekapitulieren:
- Die Zentralbank und der Staat erfüllen unterschiedliche volkswirtschaftliche Steuerungsfunktionen; sie können beide nicht als mikroökonomischen Akteure verstanden werden.
- Ein nicht ausgeglichener Staatshaushalt erhöht nominelle Vermögenswerte: Verzinste Staatsanleihen werden bei der Ausgabe von Staatsanleihen am Privatmarkt geschaffen und unverzinstes Zentralbankgeld bei der direkten Finanzierung durch die Zentralbank. Der potentielle inflationäre Effekt dieses Defizits hängt von der konkreten Ausgestaltung der Ausgaben und der ökonomischen Situation ab.
- In einem Niedrigzinsumfeld gibt es kaum volkswirtschaftliche Unterschiede zwischen monetärer und nicht-monetärer Finanzierung des Staatshaushalts. Deshalb ist die derzeit allgegenwärtige Neutralisierung von Staatsschulden – der Aufkauf von Anleihen durch die Zentralbank am Sekundärmarkt – ohne Auswirkungen geblieben.
- Jede Zentralbank, auch eine gänzlich von der Politik unabhängige, wird letztlich mit der Fiskalpolitik kooperieren und einen Staatsbankrott (in eigener Währung) vermeiden.
- Staatsschulden „belasten“ die Zukunftsgenerationen nur, wenn diese sich selbst dazu verpflichten, Schulden nicht fortzuschreiben, sondern durch die Vernichtung von nominellen Vermögenswerten abzubauen. Unsere Kinder zahlen nur für unsere Staatsschulden, wenn sie sich dazu entscheiden.
- Eine Monetarisierung (Schuldenerlass durch die Zentralbank) der bestehenden Staatsschulden hat kaum direkte makroökonomische Konsequenzen. Sie würde den Aberglauben, nach dem ein Staat langfristig ausgeglichen budgetieren muss, widerlegen.
- Dennoch gibt es problematische indirekte Konsequenzen eines solchen Schritts, weil ein großer Teil der ökonomischen Angst vor inflationären Konsequenzen hat; diese Angst selbst kann Inflation, die im Kern eine selbsterfüllende Prophezeiung ist, hervorrufen.
- Deshalb ist es nicht wünschenswert, das Tabu der „untragbaren“ Schulden abrupt zu beenden. Vielmehr ist eine Fortführung einer erprobten, schrittweisen Neutralisierung der Schulden im Rahmen des Mandats unabhängiger Zentralbanken wünschenswert.
- An einem gewissen Punkt – an dem Japan bereits angekommen ist – wird klar werden, dass das Staatsdefizit und Staatsschulden in eigener Fiatwährung keine makroökonomischen Kenngrößen sind, Inflation, Wachstum und Wechselkurs hingegen schon und dass der Staatshaushalt sich an letzteren orientieren sollte, und nicht an der eigenen Buchhaltung.
Ich möchte abschließend auch in Erinnerung rufen, dass sich diese Analyse auf Staaten beschränkt, die fähig sind, sich in der eigenen Fiatwährung zu verschulden. Für kleinere Staaten, Entwicklungsländer oder Währungsunionen ist die Situation weitaus komplexer. Ich werde versuchen, die Unterschiede in einem Folgeartikel herauszuarbeiten.