Ortner: Maîtresse der Mediokrität

Der schwierige Versuch, alle Halb- und Unwahrheiten in Christian Ortners „Maîtresse des Terrors“ richtigzustellen.

  16. Jänner 2016    4' Lesezeit

Christian Ortner muss, wie auch andere Kolumnisten, in der Wiener Zeitung jede Woche einen Text vorlegen, auch wenn das Material dafür augenscheinlich fehlt. Das führt natürlich zur einen oder anderen sinnfreien und rein ideologischen Kolumne. Darüber liest der geübte Leser österreichischer Tageszeitungen leicht hinweg.

Eine derart atemberaubende und zugleich präpotente Ignoranz, wie sie Ortner zuletzt in Bezug auf französische Geschichte und Außenpolitik an den Tag gelegt hat, ist dann auch für den anspruchslosesten Leser zu viel.

Die einzig sinnvolle Aussage am gesamten Kommentar ist die eingangs formulierte Trivialität: Frankreich pflegt enge Beziehungen zu Katar, und Katar spielt, was den IS anbelangt, eine nicht unbedingt positive Rolle. Leider verschweigt Ortner eine andere Banalität: Dasselbe gilt natürlich genauso für andere europäische Staaten. Auch Deutschlands und Großbritanniens Rüstungsindustrien (um nur die zwei wichtigsten zu nennen) hängen maßgeblich von den Waffenimporten der Golfstaaten ab (wie der „Junkie vom Dealer“ in der poetischen Ortner’schen Diktion) – von den USA und deren enger Beziehung mit Saudi Arabien natürlich ganz zu schweigen.

Doch dieser unredliche Trick ist nur der Anfang einer Aneinanderreihung an blankem Unwissen, die Frankreich als tatkräftigen Unterstützer sämtlicher national-arabischer und islamistischer Terrorbewegungen der letzten 40 Jahre darstellt. Gehen wir sie Punkt für Punkt durch.

Palästinensische Befreiungsorganisation

Seit 1974 erkennt die UNO (Resolution 3236) den Status der PLO als Repräsentation Palästinas an – nur die USA, Israel, Bolivien, Chile, Costa Rica, Island, Nicaragua und Norwegen stimmten dagegen. Das demokratische Westeuropa, Frankreich, Italien, Deutschland, Großbritannien, Österreich inklusive, enthhielten sich ihrer Stimme.

Es folgte, etwas verkürzt dargestellt, die Etablierung von diplomatischen Vertretungen der PLO in verschiedenen Ländern, wie Spanien, Portugal, Österreich, Italien (1974), Frankreich (1975) und Griechenland.

Es ist auch bekannt, dass Österreich und Deutschland ebenso wie Italien Ende der 1970er Jahre mit der PLO geheime Abkommen trafen, um terroristische Angriffe auf ihrem Boden zu vermeiden.

Für Frankreich ist derartiges natürlich vorstellbar, aber zumindest nicht belegt; selbst wenn es solche Übereinkommen mit der PLO gegeben haben sollte, wäre es jedenfalls nichts Besonderes im Europa der 1970er Jahre. Wenn Frankreich Terrorkollaborateur war, dann war es auch halb Europa.

Khomeini

Ortner schreibt von Khomeini, 1978-9 und Terrorismus. Man glaubt, etwas überlesen zu haben, fängt noch einmal an. Doch, so steht es wirklich da. Man möchte dem Verfasser ein Wörterbuch schenken, mit der Empfehlung den Begriff nachzuschlagen, auf der Seite TELTES.

Ungeachtet der Persönlichkeit Khomeinis, seine Aktivität vor, in und nach Frankreich als „Terrorismus“ zu bezeichnen ist absurd und unsinnig. Sicherlich war es massive und medial geschickte Propaganda, eine Befeuerung der – ohnehin schon weit fortgeschrittenen – Revolution aus der Entfernung, aber Terrorismus beim besten Willen nicht.

Die Einschätzung von Khomeini war im Übrigen in der gesamten westlichen Welt während des Pariser Exils recht ähnlich. Überall herrschte große Neugier, zum Teil auch eine gewisse Achtung für den asketischen Geistigen, der zu dem Zeitpunkt noch von Liberalen (wie Banisadr) geduldet war und als stärkste Figur gegen ein diktatorisches und weitgehend verhasstes Regime auftrat.1

Noch etwas Hintergrundwissen zu Frankreich und der Islamischen Revolution im Iran: Erstens war die Beziehung zwischen Giscard d’Estaing und dem Schah während des französischen Exils Khomeinis in Frankreich bei weitem keine schlechte; ja der Schah selbst hatte das Exil Khomeinis aufgrund der anhaltenden Unruhen im Oktober 1978 schon aufgehoben!

Zweitens war die Rolle Frankreichs im Iran zur Zeit der Revolution (und davor) generell im Vergleich mit der britischen und amerikanischen absolut marginal. Man erinnere zum Beispiel an den Staatsstreich 1953, oder den historischen persischsprachigen Sender der BBC, der neben den Kassetten unfreiwillig zu Khomeinis Sprachrohr im Exil wurde.

Drittens hat Frankreich unmittelbar nach der Revolution (also noch unter Giscard d’Estaing) verschiedenen hochrangigen Regimekritikern wie Bakhtiar und Banisadr – sehr zum Unmut der islamischen Republik – politisches Asyl gewährt und sich generell deutlich gegen die Islamische Republik gewandt. Eine Haltung, die bis in die Gegenwart weitergeführt wurde.

Hisbollah

Bei der Hisbollah kulminiert die kreative Geschichtsschreibung Ortners in noch unerwarteteren Höhen. Er schreibt: „dass Frankreich sich lange und erfolgreich gewehrt hatte, die mörderische schiitische Terrororganisation Hisbollah in die offizielle UNO-Liste der Terrorgruppen aufzunehmen“.

So dreist Ortner auch ist, die Fakten bleiben hartnäckig: Es gibt einfach keine „offizielle UNO-Liste der Terrorgruppen“. Sehr wohl gibt es eine Liste, die spezifisch für die Taliban und Al-Kaida2 geschaffen wurde. Und selbstverständlich ist die Hisbollah bis jetzt nicht darauf vertreten! Es gab noch nicht einmal Bestrebungen, die Hisbollah auf diese Liste zu setzen.

Eindeutig belegbar ist hingegen, dass Frankreich federführend bei der Aufnahme des militärischen Arms der Hisbollah in die EU-Liste von Terrororganisationen war.3

Festzustellen, dass Frankreich historisch bedingt kein Freund der Hisbollah ist, wäre noch eine Untertreibung: Bei einem Bombenangriff 1983 im Libanon kamen 58 französische Soldaten ums Leben, die schwersten Verluste der französischen Armee im Ausland und ein nachhaltiger psychologischer Schock für die Nation. Die grenzenlose Idiotie des Begriffs Politik des „Appeasement“ in diesem Kontext wird wohl nur von seiner Geschmacklosigkeit übertroffen.

Zynismus und Mediokrität

Ortner könnte sich auch eine Zusammenfassung der terroristischen Attentate in Europa zu Gemüte führen und sich dabei vergewissern, welches Land in Europa am meisten von islamistischen und arabisch-nationalistischen Terroristen angegriffen wurde. Und sich dann noch einmal den Zynismus des Begriffs „Politik des Appeasement“ durch den Kopf gehen lassen.

Vielleicht nähme er sich dann auch die Zeit zu überlegen, warum nicht Deutschland, Italien, Spanien oder Großbritannien – auch nicht Belgien (obwohl die Attentäter dort besser vernetzt waren) ins Visier des IS gekommen sind.

Vielleicht, weil Frankreich schon länger als einziger europäischer Staat Luftangriffe gegen den IS in Syrien fliegt (was in Ortners Welt wohl auch zur „Politik des Appeasement“ gehört).

Vielleicht, weil Frankreich im Gegensatz zu, z. B. Großbritannien, gewisse vom IS verabscheute Werte wie Laizität (Burkaverbot) und auch für politisch inkorrekte Inhalte Pressefreiheit (Charlie Hebdo) verkörpert.

Vielleicht, weil es, im Gegensatz zu Deutschland, Österreich oder Belgien, für die restliche Welt überhaupt westliche Werte – die über materiellen Wohlstand hinausgehen – verkörpert.

Es steht Ortner frei, den illiberalen französischen ökonomischen Weg zu verachten und zu verdammen, den französischen Untergang periodisch zu prophezeien und brennend herbeizusehnen. Daraus ein geopolitisches Narrativ zu konstruieren, das völlig aus der Luft gegriffen ist, beleidigt jedoch den Intellekt der Leser. Die ideologische Verblendung macht macht Ortner offensichtlich zur Maîtresse der Mediokrität.

  1. Vgl. z. B. die Dokumentation Les 112 jours de Khomeiny ein France, oder einige Zeitungsartikel der ZEIT, Ende 1978: Der Schah kämpft gegen die Zeit , Streiks und Straßenkämpfe oder Khomeini bleibt im Hintergrund.
  2. Über die Resolutionen 1267, 1333, 1390 (1999–2002).
  3. Vgl. z. B. einen israelischen Kommentar.